Die Lichtelfe und der Zauberer

Es war einmal, in einem wunderschönen, magischen Wald, da lebte eine leuchtende Lichtelfe und ein großer mächtiger Zauberer. Und obwohl sie sich so sehr voneinander unterschieden – in ihrer Form, ihrem Wesen, ihrer Sichtweise der Welt und überhaupt – waren sie die besten Freunde.

Das Leben erforschen und genießen…

Gemeinsam wandelten sie unendliche Zeiten durch die unterschiedlichen Bereiche des Waldes. Entlang der fröhlich singenden Bächlein ließen sie ihre Gedanken schweifen, auf moosbewachsenen Lichtungen spielten sie mit den Sonnenstrahlen und den tanzenden Schatten Verstecken und am Waldrand saßen sie gemeinsam da und genossen die Übergänge zwischen Tag und Nacht und Nacht und Tag. Gemeinsam erforschten sie die tiefsten und dunkelsten Bereiche des Waldes, in die kaum das Sonnen- und das Mondlicht reichten, sie ließen sich vom Wind durch die singenden klingenden Baumwipfel tragen und erlebten so das eine und das andere Abenteuer.

Diese Abenteuer bereiteten ihnen viel Freude, denn sie machten beide dievielfältigsten wunderbaren Erfahrungen dabei: die Lichtelfe z. B. schien oftmals mit allem, was war, zu verschmelzen und nahm dadurch all die Schönheit der Ereignisse in sich auf und der Zauberer lernte mehr und mehr über seine Größe, seine Zauberkräfte und seine Macht und damit umzugehen…

Irgendwann jedoch geschah es, dass der Zauberer den Eindruck hatte, er müsse auf die Lichtelfe aufpassen, denn es schien ihm, als hätte sie nicht solche mächtigen Kräfte wie er und als müsste er sie beschützen. Anfänglich kam ihm dieses Beschützen auch noch ganz gelegen, denn dadurch fand er noch mehr Möglichkeiten seine Fähigkeiten anzuwenden und so war er immer öfter damit beschäftigt, Pläne zu schmieden, Schutzwälle und Begrenzungen im Wald zu errichten, Zauberfallen aufzustellen, Bereiche unsichtbar zu machen oder zu tarnen, Illusionsbilder zu projizieren und noch einiges anderes. Und je mehr er sich damit beschäftigte, umso weniger Zeit konnte er, so wie früher, mit seiner Gefährtin verbringen und umso einsamer fühlte er sich. Hinzu kam eine gewisse Erschöpfung, weil er mittlerweile so viel zu kontrollieren, zu überwachen, zu prüfen und patrouillieren, neu auszudenken und umzusetzen, zu ergänzen usw. hatte, dass er kaum noch die Zeit fand für Ruhe und Entspannung.

Den Moment annehmen…

Die Lichtelfe indes bemerkte natürlich, dass der Zauberer nun lieber Zeit mit anderen Dingen verbrachte, aber sie ließ ihm seinen Willen und seine Entscheidung. Denn sie war schon immer bedingungslos, ihr Licht leuchtete aus unendlicher purer Liebe und in jeder Faser ihres Seins wusste sie, dass sie mit allem – und so auch mit dem Zauberer – verbunden war, und so nahm sie es für den Moment an, wie es war.

A propos „Moment“: während sich der Zauberer mit all seinem Tun und Müssen beschäftigte, schien ihm die Zeit zwischen den Fingern zu zerrinnen. Er hatte mittlerweile so viele Projekte am Laufen und am Laufen zu halten – wofür genau all diese Projekte waren, hatte er schon fast vergessen –, dass die Zeit für all das einfach nicht zu reichen schien. Und auch seine Zauberkraft konnte die Zeit zwar phasenweise entschleunigen, kostete ihn aber nach und nach auch immer mehr Energie. Währenddessen lebte Lichtelfe weiterhin im Moment und so konnte sie die unterschiedlich wechselnden Rhythmen in vollen Zügen genießen und ließ sich vom Fließen den Lebens erfüllen. Ihr Blick liebkoste den Himmel, ihre Füße küssten die Erde, ihre Hände streichelten die Natur und ihr Herz schlug im Einklang mit der alles durchdringenden Lebendigkeit.

Immer wieder sah sie den Zauberer an sich vorbei huschen, mehr ein Schatten seiner selbst, weil sein Lebensstil ihn mittlerweile viel Kraft kostete. Dann rief sie nach ihm oder winkte ihm zu und manchmal gelang es ihr sogar, ihn zu berühren, aber er schien all das nicht zu bemerken… als wäre er in seiner eigenen Welt.

Und in dieser Welt gab es nicht viel mehr als Schutz, Kontrolle, Planen und Ausführen, Angst… und Kampf. Den Kampf gegen das bedrohliche Ungewisse, gegen den Verlust und gegen Verletzlichkeit. Den Kampf gegen die Erschöpfung… denn all das machte den einst so starken, großen Zauberer unendlich müde… Immer öfter stolperte er bei seinen ruhelosen Streifzügen, immer schwerer kämpfte er sich wieder hoch. Bis er eines Tages stolperte und rücklings zu Boden fiel. Er schlug so hart auf, dass er fast nicht mehr atmen konnte und in seinem Schreck und seiner Wut auf diesen Sturz konnte er nicht anders, als bitterlich zu weinen. Er weinte und weinte und weinte und weinte… bittere Tränen, verzweifelte Tränen, Tränen der Trauer, der Müdigkeit… und Tränen der Berührtheit… so lange, bis er vor Erschöpfung fast einschlief.

Ich bin hier.

Und er wusste nicht, war das ein Traum oder Realität, doch plötzlich hörte er die Stimme der Lichtelfe. Er lauschte. Woher kam ihre vertraute Stimme? Aus der Erde? Von den Bäumen? Aus seinem eigenen Innersten? Sie schien seine Verwirrung zu bemerken und antwortete: „Ich bin hier. Bei Dir. Und überall, wo Du bist. Ich bin überall. Und immer bei Dir.“ Und während er fühlte, wie ihre Stimme ihn durchströmte wie die wärmenden Strahlen der Sonne sprach sie sanft weiter: „Komm zurück… Komm nach Hause… Dein Platz ist hier.“…

„Dein Platz ist hier…“ tönte es wie ein Echo in ihm nach.

„Ja.“ bestätigte er, als alles um ihn herum und auch er selbst sich aufzulösen schien und er fühlte sich so geborgen und gehalten in diesem unendlich leuchtenden und so sehr vertrauten Licht, das er beinahe vergessen hätte. Es durchströmte und erfüllte ihn selbst und alles, was ihn umgab und erst, als er es wieder in sich und um sich herum wahrnahm, erinnerte er sich an diese immer währende Geborgenheit.

„Mein Platz ist hier.“ wiederholte er und als er seine Augen öffnete blickte er in die Augen der Lichtelfe:

„Zuhause in der Liebe.“

Text und Bild: © Gabriele Frosch
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